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Lilly Lindner, aus "Bevor ich falle", S.176

"Da war ich für die Dauer eines Augenblicks wortstill.
Denn schöne Sätze haben einen Ausklang verdient.
Ohne Unterbrechung."

Flügelschlag Teil 5

Nynia saß irgendwie erschöpft auf ihrem Bett und rieb sich die Augen. Ihr fehlte der Wald und alles was in ihm lebte.
Gloria die Hausherrin und Freundin sorgte sehr gut für sie. An diesem Abend hatte sie einen Brief von Gloria übergeben bekommen, er stammte aus ihrer Welt und war von ihrem Vater.
Er hatte sich nur erkundigt, wie es ihr ging und ob sie sehr überrascht gewesen war.
Natürlich war sie das, immerhin war sie noch sehr jung.
Dann sagte er, sie solle immer achtsam sein und ihren Job gut machen.
Er richtete noch ein paar Grüße und Glückwünsche von anderen Feen aus und das war's.
Am liebsten hätte Nynia ihm zurückgeschrieben, aber das ging nicht, denn um einen Brief von eine Welt in die andere zu bringen brauchte man einen Boten, meist waren dies tatsächlich Feen, die mit der Hilfe von Sonnenfeen hinübergebracht wurden.
Sie frage sich, wie lange der Auftrag überhaupt dauern würde.
Da klopfte es an der Tür.
„Gloria?“, fragte Nynia.
„Ja, darf ich rein kommen?“
„Aber sicher doch!“
Eine ältere Frau betrat den Raum. Gloria alterte nicht so schnell wie andere Menschen, hatte aber im Vergleich zu Feen ein genauso kurzes Leben.
Ihr Haar war braun und vereinzelt mit grauen Strähnen durchzogen, doch es glänzte seidig und war lang.
Ihr Gesicht schien auch noch jung, nur um ihre Augen und ihren Mund hatten sich Fältchen vom Lachen gebildet.
Sie war klein und ihre Haut richtig weiß (Sonnenbrand hatte sie deswegen aber trotzdem nicht).
„Was gibt’s?“, fragte Nynia und versuchte munter zu klingen.
„Dein Vater hat mich angewiesen dir das hier zu geben, das ist ein Handy, die jungen Leute heutzutage haben so etwas.“ Hatte sie schon erwähnt, dass Gloria 90 Jahre alt war?
„Vielen Dank.“ Neugierig nahm sie die Schachtel entgegen und öffnete sie.
Schon immer hatte sie Leute mit Handys vor den Augen oder am Ohr gesehen, manchmal fragte sie sich, ob die Menschen mit diesen Dingern schliefen, denn soweit sie wusste spielte sich das halbe Leben darin ab.
Es war eine rechteckige Schachtel und vorne drauf war das Bild von einem schrägen flachen Handy gedruckt und oben drauf war ein silberner, angebissener Apfel.
„Iphone“, las sie auf der Schachtel.
„Ja, es soll nur das beste sein. Ach und übrigens, du solltest mal in den nächsten Wald gehen, du siehst nicht so gut aus.“
Nynia richtete ihre grünen Augen auf Gloria. „In Ordnung, kann ich dein... dein Auto benutzen?“
Gloria nickte, warf den Schlüssel aufs Bett und verließ mit wippendem Haar das Zimmer.
Eigentlich wollte sie nicht mit dem Auto fahren, aber in der Stadt durfte sie nicht als Fee gesehen werden. Die Schachtel mit dem IPhone warf sie auf's Bett und verließ ihr Zimmer.

Es dauerte gar nicht lange, bis sie nach anfänglichen Schwierigkeiten ein Auto fahren konnte und direkt aus Mindor hinaus auf einen Wald zufuhr.
Sie parkte das Auto am Rand einer Wiese und stieg aus. Ein kühler Wind fuhr durch ihre Haare und sie atmete tief ein. Der Wald pulsierte, genauso wie er sollte, aber noch lange nicht so wie in ihrer Welt. Ihm fehlte die Magie, die von den Lebewesen kam.
Schon legte sie ihr menschliches Verhalten ab und tänzelte zum Rand des Waldes.
Sie blickte an den großen, dunklen Stämmen hoch und schließlich zum dunkelblauen Himmel hinauf.
Nynia konnte die wenige Energie spüren, die durch ihre menschliche Hülle drang und die Fee in sich ganz hibbelig machte.
Sie atmete tief aus und das so gewohnte und schöne Licht umgab sie. Als es verschwand stand sie wunderschön und zart da. Probehalber schlug sie mit den zarten Flügeln und fuhr sich mit den Fingern durch das nun viel seidigere und weichere Haar.
In ihrem goldenen Tulpenkleid durchleuchtete sie selbst die dunkle Nacht. Ihr ganzer Körper kribbelte vor Energie und Tatendrang.
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie fing an zu laufen. Schneller als man es für möglich hielt und doch mit einer natürlich Eleganz schoss sie in den Wald, sprang über umgestürzte Bäume und Pflanzen und nahm die Energie in sich auf. An einigen Stellen, wo sie Energie abgab sprossen bunte und neue Blumen. Dann stieß sie sich einmal kräftig ab und flog durch das Blätterdach direkt in den Himmel auf den Mond zu. Auf ihrem Weg die Bäume hoch wandten einige Blätter oder andere Pflanzen ihre Richtung und es schien, als blickten sie ihr sehnsüchtig hinterher.

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