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Lilly Lindner, aus "Bevor ich falle", S.176

"Da war ich für die Dauer eines Augenblicks wortstill.
Denn schöne Sätze haben einen Ausklang verdient.
Ohne Unterbrechung."

Flügelschlag Teil 4

„Mein Name ist Josh, wie ist deiner?“ Seine Stimme war sanft und dunkel.
„Ich bin ähm, Mina.“ Er stutzte kurz und musterte sie mit einem merkwürdigen Blick von der Seite.
„Was ist?“, fragte sie unschuldig.
„Ach nichts.“
Die beiden gingen schweigend nebeneinander her. „Woher kommst du?“, fragte er schließlich.
„Meine Eltern und ich, wir sind viel umgezogen. Als letztes war ich in Australien, aber nun wollen meine Eltern mich hier lassen, bei meiner äh... meiner Tante. Sie wollen mir endlich ein Leben mit Freunden geben.“ Nun hatte sie mehr beantwortet als nötig gewesen wäre, besser gesagt, sie hatte mehr gelogen, als notwendig gewesen wäre.
Josh stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne aus. „Wow, da bist du aber schon viel rumgekommen, ich habe Mindor noch nie verlassen.“
„Nicht mal um in dem Urlaub zu fahren?“ Auf früheren Reisen, bei denen sie noch keinen festen Schützling hatte, hatte sie sehr wohl mitbekommen, dass die Menschen sehr gerne in den Urlaub fuhren, um dort braun zu werden, um anzugeben und um einfach mal abzuschalten.
„Ehrlich nicht? Du hast dieses kleine Fleckchen Erde noch nie verlassen?“
Er lächelte über ihre Ungläubigkeit.
„Naja, mir sind noch keine Flügel gewachsen und meine Eltern müssen sich um meinen kranken Bruder kümmern, also nein.“ Sie musste die nächste Frage runterschlucken. Nynia war sich nur zu bewusst, dass es mehr als unpassend und unhöflich gewesen wäre nach dem Bruder zu fragen.
Die Musikstunde war interessant, wie eigentlich alles. Die Musik war so anders, als in ihrer Welt. Es gibt so viele Musikstile, bestimmte Instrumente und Anordnungen.
In der nächsten Stunde konnte sie nichts mehr über Josh herausfinden, da sie Bio hatte und er Literatur.
Genauso wie in der Pause. Da „hing er mit seinen Freunden ab“.
In Bio musste Nynia schmunzeln, als sie durch das Buch blätterte. Der Mensch gehört zu der Gruppe der Primaten und ist verwandt mit den Affen, stammt aber nicht von ihnen ab.
Zum Teil stimmte das, und zwar, dass der Mensch nicht von dem Affen abstammt, aber in Wirklichkeit kamen vor langer Zeit Wesen aus ihrer Welt in diese. Und zwar Trolle und Feen und noch viele weitere.
Damals herrschte noch kein Krieg zwischen ihnen und es entstanden auch unterschiedliche Paare, die dann Kinder bekamen, von diesen Kindern stammen die Tiere dieser Welt ab.
Daher sind manche Menschen schön, und manche weniger.
Doch die Wesen Nynias Welt konnten hier nicht lange überleben, nur ihre Kinder, denn diese passten sich an.
Nynia musste grinsen, als sie sich vorstellte, wie sie das Josh versuchte zu erklären. Er würde ihr einen Vogel zeigen, das machen die Menschen zu anderen Menschen, wenn sie sie oder ihre Ideen für bescheuert halten.
Als Nynia ihre Fächer gewählt hatte, hatte sie darauf geachtet nicht zu viele mit Josh zusammen zu haben, das wäre viel zu auffällig gewesen.
So musste sie nach Biologie auch noch Latein ohne ihn meistern. Als Fee konnte sie diese Sprache gut sprechen und sammelte gleich mal ein paar Pluspunkte bei der Lehrerin, was ihr aber auf längeren Zeitraum gesehen nichts nützen würde, denn der Auftrag mit Josh würde nicht ewig dauern.
Sie hatte sich für diese Zeit bei einer Vertrauten der Feen einnistet. Sie war eine Direkte Nachfahrin von Feen, allerdings hatte ihr Wesen auf der Erde gelitten, und so wurde sie nicht ganz so alt und war nicht ganz so schön und magisch.
Sie lebte nun in einem kleinen Häuschen an einem Fluss, das wirklich sehr gemütlich war.
Sie kehrte aus ihren Gedanken gerissen in das Hier und Jetzt zurück, als es zur Pause klingelte.
Auf dem Schulhof fühlte sie sich etwas verloren, weil sie noch Niemanden kannte, aber auch kein sonderliches Interesse daran hatte viele kennenzulernen. Vorsichtig setzte sie sich auf eine der Bänke. Sie war aus dunklem Holz und sehr hart.
Die Sonne beschien die Schule und tauchte sie in ein helles warmes Licht.
Plötzlich wurde sie an der Schulter berührt. Sie drehte sich um, vor ihr stand Josh.
„Hey, es tut mir Leid, dass ich dich in der ersten Pause alleine gelassen habe, ich hatte vergessen, dass du ja noch neu bist und Niemanden kennst.“
Nynia lächelte ihn an. Sie durfte ihm nicht böse sein (was sie auch gar nicht war), da sie sein Vertrauen gewinnen musste.
„Ach, kein Ding, ich habe mich etwas umgesehen.“
Er ließ sich neben sie auf die Bank fallen und hielt sein Gesicht in die Sonne. Die glänzenden Gläser reflektierten das Licht.
Die Mädchen, die an der Bank vorbei gingen warfen giftige und eifersüchtige Blicke zu ihr, so schnell würde sie sich mit keinem Mädchen anfreunden, wenn sie weiterhin mit dem Schwarm der Schule abhing.
Für Nynia war die Sorge der Mädchen total unbegründet, sie tat nur ihre Arbeit, mehr nicht.
„Ich liebe die Sonne!“, verkündete er nach ein paar Minuten. „Sie ist warm, man wird braun und man muss nicht die ganze Zeit in der Bude hocken!“
Nynia lachte. „Das stimmt!“ Dann musste sie sich aber auf die Zunge beißen, um nicht irgendwas unüberlegtes zu sagen, was ihr Schützling nicht verstehen würde.
„Die Natur kann dann ihre ganze Pracht entfalten, die vielen schillernden Farben, einfach traumhaft!“
Und sobald das raus war, hätte sie sich ohrfeigen können.
Na super, ganz toll gemacht Nynia!
Für dieses Feengeschwafel fing sie sich einen befremdeten Blick von Josh ein.
„Äh... ja, wie Recht du hast.“
Das war ja mal gar nicht cool gewesen, wollte er bestimmt noch anfügen und wahrscheinlich wäre er, wenn die Höflichkeit es nicht anders vorschrieb, weggegangen, aber plötzlich sagte er: „Interessierst du dich für die Natur?“
Zögernd nickte sie. „Ja, ich finde das alles so … faszinierend, verstehst du? Es gibt so viele Dinge, die von der Natur erfunden wurden, die sie geschaffen hat. Und die Menschen machen das alles kaputt.“
Da musste Josh lachen. „Das hört sich ja fast so an, als wärst du kein Mensch, so wie du von uns redest! Und jetzt sag bloß nicht, dass du noch nie Auto gefahren bist oder mit dem Flugzeug geflogen bist, immerhin bist du doch diejenige, die mit ihren Eltern so oft umgezogen ist.“
Verflixt, da hatte sie sich in was reingeritten.
„Schon, aber meine Familie hat keine Autos, wir müssen uns an die öffentlichen Verkehrsmittel halten.“ Verlegen blickte sie zur Seite.
„Aber du bist doch ein Mensch.“
„Aber natürlich!“, erwiderte sie und versuchte so entrüstet und erstaunt wie möglich zu wirken, was nicht ganz einfach war, immerhin verleugnete sie ihre wahre Natur, und sie musste Lügen. Eine schlimme Mischung.
„Dann ist ja gut“, murmelte Josh, und Nynia wusste, dass er mehr dachte, als er sagen wollte.

Der Rest des Schultages ging dann ganz schnell rum. Auch in der nächsten Pause saß sie mit Josh zusammen und redete mit ihm über belangloses Zeug.

1 Kommentar:

  1. Du schreibst echt toll...da kommt gleich wieder die böse und eifersüchtig Lynn durch :-D
    mach weiter so <3<3

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