„Mein Name ist Josh, wie ist deiner?“
Seine Stimme war sanft und dunkel.
„Ich bin ähm, Mina.“ Er stutzte
kurz und musterte sie mit einem merkwürdigen Blick von der Seite.
„Was ist?“, fragte sie unschuldig.
„Ach nichts.“
Die beiden gingen schweigend
nebeneinander her. „Woher kommst du?“, fragte er schließlich.
„Meine Eltern und ich, wir sind viel
umgezogen. Als letztes war ich in Australien, aber nun wollen meine
Eltern mich hier lassen, bei meiner äh... meiner Tante. Sie wollen
mir endlich ein Leben mit Freunden geben.“ Nun hatte sie mehr
beantwortet als nötig gewesen wäre, besser gesagt, sie hatte mehr
gelogen, als notwendig gewesen wäre.
Josh stieß einen leisen Pfiff durch
die Zähne aus. „Wow, da bist du aber schon viel rumgekommen, ich
habe Mindor noch nie verlassen.“
„Nicht mal um in dem Urlaub zu
fahren?“ Auf früheren Reisen, bei denen sie noch keinen festen
Schützling hatte, hatte sie sehr wohl mitbekommen, dass die Menschen
sehr gerne in den Urlaub fuhren, um dort braun zu werden, um
anzugeben und um einfach mal abzuschalten.
„Ehrlich nicht? Du hast dieses kleine
Fleckchen Erde noch nie verlassen?“
Er lächelte über ihre Ungläubigkeit.
„Naja, mir sind noch keine Flügel
gewachsen und meine Eltern müssen sich um meinen kranken Bruder
kümmern, also nein.“ Sie musste die nächste Frage
runterschlucken. Nynia war sich nur zu bewusst, dass es mehr als
unpassend und unhöflich gewesen wäre nach dem Bruder zu fragen.
Die Musikstunde war interessant, wie
eigentlich alles. Die Musik war so anders, als in ihrer Welt. Es gibt
so viele Musikstile, bestimmte Instrumente und Anordnungen.
In der nächsten Stunde konnte sie
nichts mehr über Josh herausfinden, da sie Bio hatte und er
Literatur.
Genauso wie in der Pause. Da „hing er
mit seinen Freunden ab“.
In Bio musste Nynia schmunzeln, als sie
durch das Buch blätterte. Der Mensch gehört zu der Gruppe der
Primaten und ist verwandt mit den Affen, stammt aber nicht von ihnen
ab.
Zum Teil stimmte das, und zwar, dass
der Mensch nicht von dem Affen abstammt, aber in Wirklichkeit kamen
vor langer Zeit Wesen aus ihrer Welt in diese. Und zwar Trolle und
Feen und noch viele weitere.
Damals herrschte noch kein Krieg
zwischen ihnen und es entstanden auch unterschiedliche Paare, die
dann Kinder bekamen, von diesen Kindern stammen die Tiere dieser Welt
ab.
Daher sind manche Menschen schön, und
manche weniger.
Doch die Wesen Nynias Welt konnten hier
nicht lange überleben, nur ihre Kinder, denn diese passten sich an.
Nynia musste grinsen, als sie sich
vorstellte, wie sie das Josh versuchte zu erklären. Er würde ihr
einen Vogel zeigen, das machen die Menschen zu anderen Menschen, wenn
sie sie oder ihre Ideen für bescheuert halten.
Als Nynia ihre Fächer gewählt hatte,
hatte sie darauf geachtet nicht zu viele mit Josh zusammen zu haben,
das wäre viel zu auffällig gewesen.
So musste sie nach Biologie auch noch
Latein ohne ihn meistern. Als Fee konnte sie diese Sprache gut
sprechen und sammelte gleich mal ein paar Pluspunkte bei der
Lehrerin, was ihr aber auf längeren Zeitraum gesehen nichts nützen
würde, denn der Auftrag mit Josh würde nicht ewig dauern.
Sie hatte sich für diese Zeit bei
einer Vertrauten der Feen einnistet. Sie war eine Direkte Nachfahrin
von Feen, allerdings hatte ihr Wesen auf der Erde gelitten, und so
wurde sie nicht ganz so alt und war nicht ganz so schön und magisch.
Sie lebte nun in einem kleinen Häuschen
an einem Fluss, das wirklich sehr gemütlich war.
Sie kehrte aus ihren Gedanken gerissen
in das Hier und Jetzt zurück, als es zur Pause klingelte.
Auf dem Schulhof fühlte sie sich etwas
verloren, weil sie noch Niemanden kannte, aber auch kein sonderliches
Interesse daran hatte viele kennenzulernen. Vorsichtig setzte sie
sich auf eine der Bänke. Sie war aus dunklem Holz und sehr hart.
Die Sonne beschien die Schule und
tauchte sie in ein helles warmes Licht.
Plötzlich wurde sie an der Schulter
berührt. Sie drehte sich um, vor ihr stand Josh.
„Hey, es tut mir Leid, dass ich dich
in der ersten Pause alleine gelassen habe, ich hatte vergessen, dass
du ja noch neu bist und Niemanden kennst.“
Nynia lächelte ihn an. Sie durfte ihm
nicht böse sein (was sie auch gar nicht war), da sie sein Vertrauen
gewinnen musste.
„Ach, kein Ding, ich habe mich etwas
umgesehen.“
Er ließ sich neben sie auf die Bank
fallen und hielt sein Gesicht in die Sonne. Die glänzenden Gläser
reflektierten das Licht.
Die Mädchen, die an der Bank vorbei
gingen warfen giftige und eifersüchtige Blicke zu ihr, so schnell
würde sie sich mit keinem Mädchen anfreunden, wenn sie weiterhin
mit dem Schwarm der Schule abhing.
Für Nynia war die Sorge der Mädchen
total unbegründet, sie tat nur ihre Arbeit, mehr nicht.
„Ich liebe die Sonne!“, verkündete
er nach ein paar Minuten. „Sie ist warm, man wird braun und man
muss nicht die ganze Zeit in der Bude hocken!“
Nynia lachte.
„Das stimmt!“ Dann musste sie sich aber auf die Zunge beißen, um
nicht irgendwas unüberlegtes zu sagen, was ihr Schützling nicht
verstehen würde.
„Die Natur kann dann ihre ganze
Pracht entfalten, die vielen schillernden Farben, einfach
traumhaft!“
Und sobald das raus war, hätte sie sich ohrfeigen
können.
Na super, ganz toll gemacht Nynia!
Für dieses Feengeschwafel fing sie
sich einen befremdeten Blick von Josh ein.
„Äh... ja, wie Recht du hast.“
Das war ja mal gar nicht cool gewesen,
wollte er bestimmt noch anfügen und wahrscheinlich wäre er, wenn
die Höflichkeit es nicht anders vorschrieb, weggegangen, aber
plötzlich sagte er: „Interessierst du dich für die Natur?“
Zögernd nickte sie. „Ja, ich finde
das alles so … faszinierend, verstehst du? Es gibt so viele Dinge,
die von der Natur erfunden wurden, die sie geschaffen hat. Und die
Menschen machen das alles kaputt.“
Da musste Josh lachen. „Das hört
sich ja fast so an, als wärst du kein Mensch, so wie du von uns
redest! Und jetzt sag bloß nicht, dass du noch nie Auto gefahren
bist oder mit dem Flugzeug geflogen bist, immerhin bist du doch
diejenige, die mit ihren Eltern so oft umgezogen ist.“
Verflixt, da hatte sie sich in was
reingeritten.
„Schon, aber meine Familie hat keine
Autos, wir müssen uns an die öffentlichen Verkehrsmittel halten.“
Verlegen blickte sie zur Seite.
„Aber du bist doch ein Mensch.“
„Aber natürlich!“, erwiderte sie
und versuchte so entrüstet und erstaunt wie möglich zu wirken, was
nicht ganz einfach war, immerhin verleugnete sie ihre wahre Natur,
und sie musste Lügen. Eine schlimme Mischung.
„Dann ist ja gut“, murmelte Josh,
und Nynia wusste, dass er mehr dachte, als er sagen wollte.
Der Rest des Schultages ging dann ganz
schnell rum. Auch in der nächsten Pause saß sie mit Josh zusammen
und redete mit ihm über belangloses Zeug.