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Lilly Lindner, aus "Bevor ich falle", S.176

"Da war ich für die Dauer eines Augenblicks wortstill.
Denn schöne Sätze haben einen Ausklang verdient.
Ohne Unterbrechung."

Bob und Soleil: Eine Tasche voll Glück

12.11.2013
*Bob&Soleil: Die erste Begegnung*

Ich saß wieder auf der Bank. Heute schien keine Sonne, die mein Gesicht wärmen konnte und so verkroch ich mich tiefer in meinen dicken Wintermantel, zog mir die braune Wollmütze tiefer ins Gesicht und steckte die Hände in die Taschen.
Das Gras verkümmerte langsam und ersoff in zu viel Regenwasser.
Der Wind war stark und riss an mir.
Aber ich genoss es. Der Herbst war unberechenbar, unberechenbarer als die andere Jahreszeiten. Wind und Wetter waren nicht irgendwie bestimmbar. Heute war ein kalter, verregneter Tag, aber morgen könnte es schon wieder 15 Grad warm werden und die Sonne könnte sich hinter den Wolken hervor kämpfen.
Die Palette war breit gefächert.
„Überraschung!“, rief eine Jungenstimme und eine Person ließ sich auf die Bank fallen. Bob.
„War Intuition, aber tatsächlich, du bist da!“
„Hallo, Bob!“, sagte ich und überging seinen Kommentar.
„Mieser Tag heute?“, fragte er überschwänglicher als angebracht.
„Nein, ich habe nur gerade die Ruhe genossen.“ Nun sah ich ihn doch an. Seine Haare waren vom Wind zerzaust und standen in alle Richtungen ab und in seinem Mantel schien er zu versinken.
„Hach, und dann kam ich!“ Hinterher schob er ein tiefer werdendes DumDumDuuuuum.
„Genau, und dann kamst du.“ Ich blickte wieder nach vorne.
Er ließ eine Tasche neben seine Beine plumpsen. Ich bemerkte seinen angespannten Blick und schließlich seufzte ich. „Was ist da drin?“
„Ein bisschen mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf!“ Mit großer Geste nahm er die Tasche hoch und öffnete sie. „Moment, rate was drin ist!“ Er stoppte sich mitten in der Bewegung und sah mich erwartungsvoll an.
Ich rollte mit den Augen, blickte dann aber angestrengt auf die Tasche, als würde ich ernsthaft nachdenken.
„Okay, gib mir 'nen Tipp“, verlangte ich schließlich und lehnte mich ein Stück zurück.
„Das hier... das hier ist eine Tasche voll Glück.“
Bei seinen Worten tauten meine Finger auf. Es war schwer zu benennen, aber es war tatsächlich so, als würden sie kribbeln. Ich versenkte sie tiefer in meinen Taschen.
„Mach deine Augen zu!“ Bob nickte mir aufmunternd zu. Sein Gesicht wirkte ungewohnt ernst.
Ich zog die Augenbrauen zusammen, gehorchte schließlich aber und schloss die Augen.
Ich atmete tief ein und aus.
Das Licht gab mir ein wenig Macht, nun war ich verletzlich und musste mich auf Bob verlassen, was auch immer folgen würde.
Was brachte es, wenn ich meine Augen schloss?
„Lass sie bitte die ganze Zeit geschlossen.“
Ich knurrte warnend.
Etwas raschelte, als er etwas aus dem Rucksack zog. Dann schob er vorsichtig den Saum meiner Mütze nach oben und meine Haare hinter mein Ohr.
Ich verkrampfte mich, als die kalte Luft meine Haut traf.
„Ganz ruhig“, flüsterte er.
Dann berührte wieder etwas mein Ohr. Es war größer und erschien mir unförmig, die Oberfläche war glatt.
Ein Rauschen drang aus dem Gegenstand.
„Was ist das?“
„Hörst du es? Das ist das Rauschen des Meeres!“
Das Geräusch verklang, als der Gegenstand von meinem Ohr verschwand. Irgendwie wollte ich mehr, ich wollte wieder diesen beruhigenden schönen Klang in meinem Ohr haben.
„Lass deine Augen zu!“, wiederholte Bob, als ich mich zu ihm wandte. Ich seufzte und wartete.
Er drückte mir etwas in die Hand. Eine große, trichterförmige Muschel. Ich zog einen Handschuh aus und fuhr mit zitternden Fingern über die glatte Oberfläche.
„Mach deinen Mund auf!“, war sein nächster Befehl. Eigentlich hasse ich es, wenn Leute mir sagen, was ich zu tun habe, aber dieses Spiel begann mir Spaß zu machen, also öffnete ich vorsichtig meinen Mund, gespannt was als nächstes kam.
Er legte mir etwas kantiges, flaches in den Mund. Ein zartes Vollmilchschokoladenplättchen. Es zerging auf meiner Zunge. Ich schloss genüsslich den Mund und gab ein zufriedenes „Mmh“ von mir. Der Geschmack lag süßlich auf meiner Zunge und ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Es raschelte, als er etwas weiteres aus seiner Tasche holte.
Unwillkürlich zuckte ich zurück, als er mir etwas unter die Nase hielt.
„Riech!“
Zaghaft sog ich den Duft ein. Er roch nach Zimt und Orange, Marzipan und Karamell! Es roch nach Weihnachten, nach gemütlichen Abenden auf dem Sofa oder vor einem Kamin mit einer heißen Tasse Tee.
Ich lächelte. Es roch so gut. Ich wollte den Teebeutel nehmen und den Geruch inhalieren, ihn in meiner Nase lassen.
Dann zerbrach etwas in meinem Kopf. Ich drehte ruckartig den Kopf weg und kniff die Augen zusammen, während ich meinen Atem beruhigte.
Bilder tauchten in meinen Gedanken auf, die die Illusion von dem Tee vertrieben.
Ich stand auf und öffnete erst dann die Augen.
„Ich muss jetzt gehen!“, sagte ich gehetzt und ignorierte seinen betretenen, beinahe geschockten Gesichtsausdruck. Ich machte ein paar Schritte, die Blätter knirschten unter meinen Sohlen, bevor ich mich noch einmal umdrehte. „Danke.“
Mein kleiner, schöner Sinnesausflug in das Glück war vorüber.
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Gute Nacht meine Lieben! <3
Eure

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