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Lilly Lindner, aus "Bevor ich falle", S.176

"Da war ich für die Dauer eines Augenblicks wortstill.
Denn schöne Sätze haben einen Ausklang verdient.
Ohne Unterbrechung."

Flügelschlag Teil 2

Es war wieder an der Zeit zur Erde zurück zu kehren, zu ihren Schützlingen, den Menschen.
Sobald Nynia den Wald verlassen hatte, hatte sie sich wieder in ihre menschliche viel zu enge Hülle gequetscht.
Die Flügel waren dicht an ihren Rücken geklemmt und unter der menschlichen Kleidung versteckt.
Ihr Haar war nicht mehr so strahlend, sondern hatte die Farbe eines nüchternen blondes.
Ihre Augen hatten nicht mehr diesen übernatürlichen Glanz, der bei Feen ganz normal war, direkt den Herzen entsprang. All dies musste sie verstecken.
Ein Nachteil als Fee der Sonne, man war verpflichtet auf die Erde zu gehen und die Menschen so gut es eben geht beschützen.
Erst hat man nur die Aufgabe unter den Menschen zu sein und allen hier und dort zu helfen, also wenn es wichtig ist. Damit ist nicht gemeint die Spülmaschine auszuräumen oder die Wäsche aufzuhängen. Wenn diese Aufgabe dann gut gemeistert wird bekommt man einen Schützling zu gewiesen, über den man wachen soll. Diese Menschen werden vom hohen Rat ausgewählt. Dieser kann ermitteln, dass diese Menschen irgendwann entweder unbewusst in Gefahr geraten, oder etwas Dummes anstellen und dann in Gefahr geraten. Die beauftragte Fee muss diese Katastrophe dann so gut wie möglich meistern oder ihrem Schützling beistehen.
Eigentlich ist dies eine Aufgabe der Engel, aber da die Sonnenfeen so nah am Himmel sind, haben auch sie in ihrer Seltenheit die Ehre Beschützer zu sein.
Nynia betrat eine Wiese und ging mit einem elfenhaften Schwung zwischen den ganzen Blüten hindurch.
Die ganze Wiese war prächtig in allen Farben. Sie wurde vor den Trollen und anderen magischen Wesen geschützt, die etwas gegen Feen hatten.
Sie blieb stehen.
Hier lag ihr Portal, ihr Tor zur Welt der Menschen.
Ein leichtes Kribbeln überzog ihren Körper und sie hatte einen leicht bitteren und zugleich süßen Geschmack auf der Zunge.
Nynia schloss die Augen. Sandte ihre Magie aus und nach und nach tauchten in dem Dunkel ihrer geschlossenen Lieder helle Punkte auf. Alle orange, bis auf einer, ihrer, mit der Farbe der hellen Sonne.
Im Geiste streckte sie die Hand nach dem Punkt aus. Bekam ihn zu fassen, und sofort leuchtete alles gelb. Normalen Menschen, die nicht würdig waren dieses Licht zu sehen wären die Augen verbrannt.
Für einen Moment hatte Nynia das Gefühl, es würde keine Luft zum Atmen mehr geben, doch dann strömte sie mit ungeheurer Wucht wieder in ihre Lungen.
Dieser Dimensionswechsel war die reinste Qual.
Als sie die Augen wieder öffnete, befand sie sich nicht wie gewohnt auf der Erde, sondern in einem Zimmer.
Verwirrt blickte sie sich um. Wo hatte das Portal sie hingeschickt?
Sie trat ans Fenster, spähte vorsichtig hinaus. Es ging ungefähr 30 Meter in die Tiefe, sie befand sich in einem Turm. Dem Turm der Sonnenblüte.
Freude durchströmte sie, gelang bis in den hintersten Winkel ihrer Selbst.
Nynia hatte es tatsächlich geschafft. Sie bekam einen eigenen Schützling zugewiesen. Sie merkte, wie sie den elfentypischen Glanz nicht mehr zurückhalten konnte. Ihre Augen begannen zu leuchten, ja fast zu glühen wie eine 1000 Watt Glühbirne.
Sie sah sich im Zimmer um.
Es bestand nur aus Stein und es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände, bis auf eine steinerne Säule, die oben in eine Schale mündete. Das Wasser strahlte.
Vorsichtig trat Nynia heran und hob die Hand, um die Wasseroberfläche zu berühren.
Sobald sie sie berührte und Kreise durch das Wasser zogen entstand ein Bild darauf.
Es war heller Tag und grüne Bäume säumten einen Parkweg.
Die Sonne schien durch die Lücken des Blätterdaches und zeichneten Muster auf den braunen Weg.
Vorfreude durchströmte sie, als sie den sonnenbefleckten Weg sah.
Dann kam er auch schon. Ein junger Mann. Vielleicht 16. Die Hände in den Hosentaschen vergraben ging er fröhlich pfeifend und nichtsahnend den Weg entlang.
Sein Haar glänzte dunkel braun, kaum zu unterscheiden von Schwarz. Ebenso seine Augen die braun wie Schokolade glänzten. Er trug lässige Kleidung und eine Fliegersonnenbrille hing in dem Ausschnitt seines Shirts.
Der war bestimmt der Checker an seiner Schule. Fast konnte Nynia sich bildlich vorstellen, wie er in Schwierigkeiten geriet.
Dann verschwand das Bild wieder. Nun erschienen Name und Ort auf dem Wasser.
Josh aus Mindor würde ihr Schützling sein.
In Gedanken rief sie sich noch mal sein Bild in Erinnerung, fast schon konnte sie die sich anbahnenden Schwierigkeiten sehen, die an seiner schwarzen Lederjacke hafteten.
Dann verschwand für einen Moment wieder die Luft um schon im nächsten Augenblick wieder in ihre Lungen zu strömen.
Nynia war angekommen. Mindor. Josh.
Noch konnte sie es nicht glauben, doch dann bemerkte sie, wo sie stand und schon im nächsten Moment ging der Junge an ihr vorbei.

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